Blick in die Freie Hansestadt Bremen: Erfolgsfaktoren bei der nachhaltigen Beschaffung von Warnschutz – und Arbeitskleidung

Im Interview: Inge Gätje, seit 2014 als Strategische Einkäuferin / Rahmenverträge zuständig für Arbeitskleidung, persönliche Schutzausrüstung und Textilien. Der Strategische Einkauf ist angesiedelt im Einkaufs-und Vergabezentrum der Freien Hansestadt Bremen (EVZ der FHB).

Das Interview ist Teil des Sondernewsletters Faire Beschaffung von Warnschutz- und Arbeitskleidung (April 2020) und wurde durchgeführt von Mareike Grytz, Entwicklungsagentur Faire Metropolregion Nürnberg.

Inge, du bist bei der Freien Hansestadt Bremen im strategischen Einkauf tätig - kannst Du schildern, welche Rolle die Beschaffung nach Sozial- und Umweltstandards bei Euch spielt und wie das Thema in Bremen institutionell verankert ist?

In Bremen gibt es seit 2009 einen Bürgerschaftsbeschluss, die ILO-Kernarbeitsnormen zu verankern. Es wurde eine ILO-Kernarbeitsnormverordnung herausgegeben. In dem damaligen Tariftreue- und Vergabegesetz in Bremen waren vergabefremde Aspekte wie Produktionsbedingungen im Unterschwellenbereich bereits verankert. Bundesweit wurde dies mit der Vergabenovelle durch die EU-Reform erst 2016 ermöglicht. Seit 2011 gibt es eine ILO-Kernarbeitsnormverordnung, die für festgelegte Produkte umgesetzt werden muss. Dieses Dokument und die damalige Beschaffungsordnung legten fest, dass alle Beschaffungen dahingehend befolgt werden müssen. Mit der Verordnung wurden Formblätter eingeführt, die die Bieter ausfüllen müssen und über die sie die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen Verordnung bei der Produktion nachweisen müssen.

In 2019 gab es eine weitere große Novelle in Bremen. Aus der Beschaffungsordnung wurde eine Verwaltungsvorschrift. Alle Beschaffer müssen sich an uns, das Einkaufs- und Vergabezentrum wenden, wenn sie Produkte beschaffen wollen, die zu den festgelegten Produkten gehören. Sie dürfen nichts mehr selber beschaffen und müssen auch bei kleineren Beschaffungen abklären, ob es Rahmenverträge gibt oder ob in bestehende Rahmenverträge kurzfristig neue Produkte mitaufgenommen werden können. Das ist einerseits eine große Erleichterung für uns um die Bedarfe besser kennenzulernen, hat uns aber auch einiges an Arbeit gebracht.

Meine eigene Stelle – ich bin zuständig für die Beschaffung von Arbeitskleidung, persönlicher Schutzausrüstung und Textilien - wurde geschaffen aufgrund dieser ILO-Kernarbeitsnormverordnung. Bei uns im Einkaufs- und Vergabezentrum sind die KollegInnen aufgeteilt nach Produktgruppen – es gibt KollegInnen, die kümmern sich speziell um Büro-/Schulmöbel oder um Büromaterial, andere um Reinigungsmittel und -maschinen, Kleingeräte und so weiter. Meine Stelle wurde also geschaffen, damit das Thema Textilien explizit bearbeitet werden kann, da es mit dem damaligen Mitarbeiterstand nicht gemacht werden konnte. Ich bin seit 2014 dabei, das Team ist mittlerweile insgesamt 12 Personen stark. Meine Arbeitsgrundlage ist die ILO-Kernarbeitsverordnung. Diese muss ich mit dem Markt diskutieren und den Bietern die Formblätter näherbringen und die Umsetzung und Erfüllung im Vergabeprozess explizit kontrollieren.

 

Kannst Du mir aus Deiner Tätigkeit ein konkretes Beschaffungsbeispiel für einen Rahmenvertrag im Bereich faire Textilien vorstellen? Wie ist der Beschaffungsprozess abgelaufen – gab es bestimmte Erfolgsfaktoren oder Herausforderungen?

Eine große Herausforderung für die Bieter, das sind im Fall der Arbeits- und Schutzkleidung in der Regel Lieferanten, ist eine Dienstleistung die zusätzlich dahintersteht, nämlich die Größenvermessung und Anpassung. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Nicht nur bei der Arbeitskleidung, auch bei der Warnschutzkleidung aber auch bei den Sicherheitsschuhen.

Es war ganz zu Beginn nicht ganz einfach mit dem Markt in den Dialog zu gehen. 2016 haben wir die Diskussion über faire Warnschutzkleidung aufgenommen, da waren die Hersteller schon aufgeschlossener, da andere Kommunen bereits Vorarbeit geleistet hatten. Bei unserer ersten Dialogveranstaltung waren die möglichen Bieter, meistens die Lieferanten, sehr positiv überrascht wie offen die Hersteller diskutiert haben.

Wir haben letztendlich viele Verfahren mit Dialogen Workshops vorbereitet. Bei einer aktuell laufenden Beschaffung von Arbeitskleidung für das Handwerk gab es einen sehr langen Prozess mit Herstellerdialog, Nutzerworkshops, Bieterworkshop. Anschließend wurde die Ausschreibung über die Vergabeplattform (vergabe.bremen.de) veröffentlicht. Die Zuschlagskriterien sind folgendermaßen aufgeteilt: 30% Preis, 40% Qualität und 30% soziale Nachhaltigkeit. Hier erfolgt am 2. Mai die Zuschlagserteilung.

Nach der Ausschreibungssubmission mussten die vielfältig geforderten Kriterien geprüft werden. Produktmuster mussten in den Waschtest – das ist ganz wichtig im Bereich Arbeitskleidung. Das erforderte die Bereitschaft der Bieter (Hersteller) 2 bis 3 Produktmuster pro Los einem Wasch- und Trockentest unterziehen zu lassen und die Kosten dafür zu übernehmen. Wir hatten am Ende drei Angebote. Von einem Hersteller sind beispielsweise zwei Lose durch den Waschtest gefallen, da das Ausblut- und Einlaufverhalten zu groß war. Das hat zum weiteren Verfahrensausschluss geführt. Die anderen beiden Angebote haben den Waschtest bestanden und gingen dann weiter in den 12-wöchigen Tragetest.

Wir haben auch erstmals bei dieser Ausschreibung den Fragebogen aus der FEMNET e.V. Publikation „Möglichkeiten einer ökologisch und sozial nachhaltigen öffentlichen Beschaffung“ https://femnet.de/informationen/materialien-medien/broschueren-flyer/hintergruende-materialien-foeb.html. zur Maßnahmenkontrolle mitangewendet und Punkte vergeben. Das stößt natürlich noch auf ziemlich viele Stolpersteine, da müssen noch viele Angaben hinterfragt werden. Trotzdem konnten auch hier Ergebnisse erreicht werden. So gibt ein Los, das aufgrund der Punkte für Qualität und sozialer Nachhaltigkeit den Zuschlag erhält. Bei den anderen beiden Losen haben die Punkte für Preis und Qualität den Zuschlag stark beeinflusst.

 

Eure Praxisbeispiele sind auch mit Informationen und Dokumenten im Kompass Nachhaltigkeit zu finden, oder?

Das ist richtig. Auf der Bekleidungsseite ist derzeit das Beispiel der Warnschutzkleidung aus 2016 eingestellt. Aktuell bin in einer Nachfolgeausschreibung der Warnschutzkleidung, da der Vertrag aufgrund von Liefer- und Größenproblemen nicht weitergeführt werden konnte. Die Maßgaben sind aber gleich, also die angefragten Kriterien.  Da die Veröffentlichung im Kompass Nachhaltigkeit erst nach der Zuschlagserteilung erfolgen kann, darf man mich gerne persönlich ansprechen.

Wichtig für alle Kommunen die diese Tätigkeit zentralisieren wollen ist das Einbinden der dezentralen Beschaffer, aber auch weiterer wichtiger Mitspieler wie z.B. Arbeitsmediziner, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, ganz wichtig die Personalvertretung und örtliche NGO’s die sich mit dem Thema befassen. Mit diesem Kompetenzteam gestaltet man den Prozess und trifft die Entscheidungen gemeinsam.

Mein Erfolgt beruht darauf, dass es seit 2015 monatliche Treffen mit dem Kompetenzteam gibt. Der Verteiler ist bei 70 Bedarfsträgern, die regelmäßig alle Einladungen, Informationen und Protokolle erhalten. Beschlüsse, die bei den eigentlichen Treffen gefasst werden, gelten dann für alle, auch wenn an den Treffen zum Beispiel nur 8 bis 12 Personen teilnehmen. Das wurde ganz früh festgelegt und wird auch transparent an neue KollegInnen kommuniziert.

Für Bremen ist auch wichtig zu sagen, dass es seit 2016 eine Kompetenzstelle für sozial-nachhaltige Beschaffung (Birte Detjen) gibt. Das ist eine wichtige Zwischenkomponente, da die Veranstaltungen gemeinsam mit ihr organisiert werden und sie den Herstellern die Produktionsbedingungen und was wir verändern wollen näherbringt.

 

Welche Tipps würdest Du nach Deiner jahrelangen Erfahrung in dem Thema Kommunen mit auf den Weg gehen, die in dem Thema noch ganz am Anfang stehen?

Nach Möglichkeit im Bundesland oder in der Region AnsprechpartnerInnen suchen, zum Beispiel Koordinatorenstellen, die über Engagement Global und die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt finanziert sind. Ansonsten auch direkt im Kompass Nachhaltigkeit Informationen suchen oder sich an eine der Nichtregierungsorganisation wenden, die in dem Bereich arbeiten und beraten, wie beispielsweise FEMNET e.V., Südwind e.V., und die Christliche Initiative Romero (CIR). Das sind die Organisationen mit denen wir eng zusammenarbeiten.

Ganz wichtig sind natürlich auch die lokalen Partner, zum Beispiel lokale Nichtregierungsorganisationen: Kampagne für saubere Kleidung (CCC) und Bremer entwicklungspolitische Netzwerk (BeN). Diese binden wir in unser Kompetenzteam in Bremen ein. Alle von uns abgeschlossene Rahmenverträge, sind über die Arbeitsmediziner und Mitbestimmungsgremien bewilligt. Wichtig ist der kontinuierliche Einbezug – nicht nur sporadische Einbindung. Man darf auch nicht unterschätzen, wie weit der Weg vom örtlichen Beschaffer zum eigentlichen Träger ist. Daher sind die Nutzerworkshops vor der Ausschreibungsveröffentlichung und Tragetest in der Wertungsphase ebenfalls entscheidend.  

 

Zum Abschluss eine letzte Frage Inge, welche Wünsche hast Du für die Zukunft der fairen Beschaffung – zum Beispiel im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen?

Da habe ich ganz konkrete Vorstellungen. Es gibt ja schon die Bemühungen seitens der Nichtregierungsorganisationen, ein Lieferkettengesetz einzuführen. Das kann ich nur befürworten - unterstützt die Petition! Ein Lieferkettengesetz würde uns all dieser zusätzlichen Formulare für die Bieter und Hersteller entbinden. Die Hersteller und Bieter müssten sich von vorneherein Gedanken machen. Dann wäre auch die Frage der Nachkontrolle geklärt. Das Controlling der Nachhaltigkeitsaspekte fehlt nämlich in fast allen Kommunen/Bundesländern.

Vielleicht trägt auch die aktuelle Pandemie zu einem Umdenken bei?

Aktuell gibt es bei der Beschaffung der systemrelevanten Schutzausrüstungsprodukte erhebliche Lieferprobleme und eine Preisexplosion! Viele deutsche Hersteller hatten die maßgeblichen Herstellungsprozesse in die prekären Billiglohnländer ausgelagert und haben somit heute große Probleme den eigenen deutschen Markt zu beliefern.

Das ist mein großer Wunsch für die Zukunft. Ich kann also nur empfehlen, die Petition zum Lieferkettengesetz https://lieferkettengesetz.de/2020/03/12/6-dinge-die-ihr-jetzt-wissen-solltet/ zu unterstützen.

Eine Grundlage bieten die ILO-Kernarbeitsnormen zwar, aber es gibt in keinem Bundesland ein Controlling und die Norm wird in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Außerdem wollen wir nicht nur die ILO-Kernarbeitsnorm, sondern ganzheitliche Nachhaltigkeit.  Die Nachhaltigkeit umfasst auch den gesamten Produktkreislauf – wir bombardieren die Hersteller mit der Frage, was mit den Kleidungsstücken passiert, wenn sie nicht mehr die DIN Vorgaben erfüllen. Das ist bei Warnschutzkleidung schnell (ca. 25 Aufbereitungszyklen) gegeben. Nachhaltigkeit beinhaltet auch Dimensionen wie Weiterverwertung und Recycling, nicht einfache Lösungen wie die Müllverbrennungsanlage. Hier müssen Lösungen gefunden und entwickelt werden.

Weiter ist mir der regelmäßige Austausch mit den anderen öffentlichen Beschaffern bundesweit sehr wichtig, wie zum Beispiel die Netzwerktreffen „Faire Beschaffung“ von der SKEW. Wir sollten alle eng mit den NGO’s zusammenarbeiten, damit wir gemeinsam bundesweit einheitlich in der öffentlichen Beschaffung auftreten. Ich stehe jederzeit auch für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.

Kontakt und Links:

Praxisbeispiele der Stadt Bremen im Kompass Nachhaltigkeit:

https://www.kompass-nachhaltigkeit.de/praxisbeispiele

Inge Gätje

Strategischer Einkauf / Rahmenverträge, Einkaufs-und Vergabezentrum der Freien Hansestadt Bremen

Immobilien Bremen, Anstalt des öffentlichen Rechts
Theodor-Heuss-Allee 14, 28215 Bremen

T 0421 361 12 135 

Mail: inge.gaetje@immobilien.bremen.de
Internet: www.immobilien.bremen.de