Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung sind Bestandteil der Wertschöpfungskette von Produkten aus dem Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Wie soziale Kriterien bei der Beschaffung von Computern, Tablets, Monitoren und sonstigen IKT-Produkten dennoch eingefordert werden können, fasst die Studie „Soziale Kriterien einfordern und überprüfen: Ansätze für eine faire öffentliche Beschaffung von IKT-Produkten“ zusammen. In Auftrag gegeben wurde das Dokument von der Organisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) e.V., erschienen ist es im März 2022. Wie die Ergebnisse kommunalen Beschaffungsstellen weiterhelfen können, erklärt Johannes Peter, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei WEED, der die Publikation miterstellt hat.
Wie hilft Ihre Publikation Beschaffungsverantwortlichen weiter?
Der gesamte Lebenszyklus von IKT-Produkten geht in hohem Maße mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen einher. Das fängt an bei langen Arbeitszeiten in der Produktion, geht über niedrige Löhne bis hin zu Suiziden aufgrund dieser miserablen Arbeitsbedingungen. Doch die Probleme fangen schon vor der Fertigung an, nämlich beim Abbau der Rohstoffe. Etwa Zinn und Gold, die in vielen Geräten enthalten sind, zählen zu den Konfliktrohstoffen, wegen denen Kriege geführt werden. Andere Rohstoffe wie Kobalt werden teilweise in Kinderarbeit abgebaut. Bei der Produktion werden viele Teile verbaut, unzählige Zuliefererbetriebe sind eingebunden. Es ist schwierig aufzulösen, unter welchen Bedingungen diese Produkte hergestellt werden. In dieser Ausgangslage stehen Beschaffungsverantwortliche vor der Herausforderung: Wie hoch dürfen die sozialen Standards bei unserer Vergabe sein, damit die Bietenden sie erfüllen können? Mit welchen Nachweisen lässt sich die Einhaltung der Standards belegen? Diesen Fragen widmet sich unsere Publikation.
Die Situation im IKT-Bereich ist unübersichtlich. Lohnt es sich da überhaupt, in die faire Beschaffung einzusteigen?
Trotz seiner Komplexität ist der Markt bereit, Maßnahmen zur Identifizierung und Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen umzusetzen. Bei der Erstellung unserer Publikation haben wir herausgearbeitet, dass es schon einige Gütezeichen gibt, die für faire Standards etwa bei der Endmontage und auch bei den Konfliktrohstoffen, stehen. Das ist für Vergabestellen eine sehr gute Ausgangsbasis. Mindeststandards können in den Ausschreibungen auf alle Fälle verankert werden.
Das hört sich doch sehr positiv an. Wo liegt dann überhaupt die Problematik?
Leider gibt es kein einziges IKT-Produkt, das komplett fair hergestellt ist. Es gibt zwar Vorreiterunternehmen, die versuchen, fair herzustellen. Zum Beispiel nager it bietet faire Computermäuse an. Das Unternehmen weist in vielen Bereichen nach, dass faire Arbeitsbedingungen herrschen. Doch selbst bei einem relativ simplen Gerät wie einer Maus gibt es Bereiche, wo es keine Informationen gibt: insbesondere bei Abbau und Weiterverarbeitung der Rohstoffe. Dies ist gleichzeitig ein heikler Bereich, der mit hohen Menschenrechtsrisiken einhergeht.
Wie können Vergabestellen soziale Kriterien in ihrer Ausschreibung verankern?
In unserer Publikation zeigen wir verschiedene Wege auf. Ein bisher oft genutzter Ansatz sind Eigenerklärungen. Unternehmen füllen ein Dokument aus, in dem sie angeben, ob sie bestimmte Kriterien einhalten. Dieser Ansatz ist unserer Meinung nach nicht besonders wirkungsvoll, denn die Vergabestellen müssten die Einhaltung selbst überprüfen – und das können vor allem kleine Stellen oft nicht leisten. Die bereits erwähnten Gütezeichen stellen hierzu einen großen Schritt vorwärts dar, da die Einhaltung sozialer Kriterien von unabhängigen Dritten überprüft wird. Ein weiterer Ansatz sind sogenannte Bieterkonzepte. Bei Angebotsabgabe werden die Bietenden aufgefordert, ein Konzept miteinzureichen, in dem sie aufschlüsseln, wie sie bestimmte soziale Kriterien überprüfen und gewährleisten wollen. Dieses Konzept fließt dann in die Bewertung mit ein. Der Vorteil: ambitionierte Bieterinnen und Bieter, die über die Mindeststandards hinausgehen, können hier belohnt werden. Diese Vorgehensweise ist aufwendiger und bietet sich deshalb eher an für größere Vergaben. Außerdem gibt es die Möglichkeit der Mitgliedschaft bei der Monitoringorganisation Electronics Watch. Das ist aus unserer Sicht der wirkungsvollste Ansatz, da Electronics Watch eine langfristige Verbesserung der Situation vor Ort zum Ziel hat und zudem eng mit Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitet.
Gibt es noch etwas Unkomplizierteres?
Ja, da gibt es noch die „Verpflichtungserklärung zur Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in der öffentlichen IKT-Beschaffung“. Sie wird als Teil der Vergabeunterlagen in die Auftragsaufführung mitaufgenommen und formuliert die Anforderungen an Auftragnehmer in Bezug auf die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards. Ihr Vorteil: Sie stellt eine Mustererklärung dar, ist daher rechtssicher und von Vergabestellen ohne großen Aufwand übertragbar. Zugleich legt sie fest, nach welchen Verfahren die Nachweise zu erbringen sind. Allerdings hat sie nur die Arbeits- und Sozialstandards bei der Fertigung von IKT-Produkten im Blick, der Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen beim Rohstoffabbau werden nicht berücksichtigt.
Wie zuverlässig sind Gütezeichen?
Ihre Verwendung ist eine gute Methode, insbesondere im Vergleich zu leider immer noch häufig verwendeten Eigenerklärungen, da die Einhaltung der Bedingungen von unabhängigen Dritten überprüft wird. Auch im IKT-Bereich werden Gütezeichen stetig weiterentwickelt und nehmen immer mehr Ebenen im Herstellungsprozess in den Blick. Die wichtigsten Gütezeichen sind TCO Certified, epeat, der Blaue Engel und das EU Ecolabel. Diese Label sind einfach und ohne Vorwissen anzuwenden und es gibt bereits eine große Anzahl von Produkten, die damit ausgezeichnet sind. Gleichzeitig hat dieser Ansatz seine Limitierungen. Gütezeichen überprüfen in der Regel nur Mindestkriterien. Außerdem sind sie fehleranfällig. Nicht alle Menschenrechtsverletzungen können durch sie zuverlässig aufgedeckt werden. Auf diese Schwachstellen gehen wir in unserer Publikation tiefer ein.
Welchen Ansatz empfehlen Sie für kleine Kommunen und Vergabestellen?
Sie haben oft wenig personelle Kapazitäten – dadurch wird der Dialog mit den Bietenden erschwert. Hinzu kommen geringere Auftragsvolumina und dadurch eine schlechtere Verhandlungsposition gegenüber den Bietenden hinsichtlich Preis und sozialer Kriterien. Unter diesen Bedingungen fallen Ansätze wie Bieterkonzepte eher raus. Gütezeichen sind – trotz der beschriebenen Schwachstellen – ein Ansatz, der für kleine Vergabestellen relativ unkompliziert ist. Es ist einfach, sie anzuwenden und zu überprüfen. Über das Webportal Kompass Nachhaltigkeit kann man die Gütezeichen noch vergleichen und wird direkt zu den entsprechenden Produkten weiterverlinkt.
Welche Rolle spielt die Mitgliedschaft in Multistakeholderinitiativen bei Vergabeprozessen?
Manchmal wird die Mitgliedschaft in solchen von Bietenden als Nachweis für die Einhaltung der ILO-Normen vorgelegt. Aus unserer Sicht ist ein solcher Nachweis mit Vorsicht zu genießen. Man muss genau hinsehen, um was für eine Initiative es sich handelt und was für Anforderungen für Mitgliedsunternehmen damit verknüpft sind. Industrie- und Brancheninitiativen arbeiten häufig zum Vorteil von Unternehmen und die Anforderungen an die Mitglieder sind nicht besonders hoch. Teil einer solchen Brancheninitiative zu sein, ist nach unserer Meinung kein ausreichender Nachweis. Multistakeholderinitiativen hingegen bilden im Idealfall eine breite Platte von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren ab. Unter anderem können Unternehmen dabei sein, zivilgesellschaftliche Akteure, nationale Behörden aus dem globalen Norden und den Fertigungsländern des globalen Südens. Je mehr unterschiedliche Gruppen beteiligt sind, desto mehr Legitimität hat eine Initiative. Prinzipiell können solche Initiativen wichtige Foren sein, um sich über Herausforderungen und Best Practices auszutauschen und gemeinsame Standards zu entwickeln. Teilweise können sich Unternehmen über sie auch die Einhaltung bestimmter Kriterien zertifizieren lassen. Aktuell gibt es im IKT-Bereich keine Initiative, deren Anforderungen hoch genug sind. Ehe die Mitgliedschaft in einer Initiative als Nachweis akzeptiert wird, sollten Beschaffungsverantwortliche daher immer genau prüfen, ob damit die in der Ausschreibung verlangten Kriterien tatsächlich erfüllt werden.
Haben Sie noch extra Tipps für die faire öffentliche IKT-Beschaffung in der Metropolregion Nürnberg?
Verwaltung und politische Ebene müssen an einem Strang ziehen. Die politische Unterstützung für die faire Beschaffung sollte untermauert werden durch Ratsbeschlüsse oder Willenserklärungen wie den Pakt für Nachhaltige Beschaffung, den ja auch die Metropolregion Nürnberg unterzeichnet hat. Es kann auch sinnvoll sein, Einkaufsgemeinschaften zu bilden. So bündelt man Kompetenzen und hat eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Bietenden – für einen großen Ballungsraum wie die Metropolregion lohnt sich das sicherlich bei der IKT-Beschaffung.
Insgesamt ist es wichtig, bei der fairen öffentlichen Beschaffung von Anfang an strategisch vorzugehen. Beginnen Sie mit einem Produkt und einer kleineren Ausschreibung. Wählen Sie ein Produkt, für das schon viele Gütezeichen verfügbar sind – zum Beispiel gibt es schon viele zertifizierte Displays, das könnte ein guter Einstieg sein. Nutzen Sie die Erfahrung aus diesem Prozess und bauen Sie das Engagement sukzessive aus. Kommunen sind bei der fairen Beschaffung übrigens nicht auf sich alleine gestellt – es gibt Organisationen wie WEED oder die SKEW, die viel Unterstützung für Kommunen bieten. Nehmen Sie diese Angebote in Anspruch!
Über WEED
WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V. wurde 1990 gegründet und ist eine unabhängige Nichtregierungsorganisation. Die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Globalisierung verlangen nach einer Wende in der Finanz-, Wirtschafts- und Umweltpolitik hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Tragfähigkeit. WEED will dabei die Mitverantwortung der Industrienationen stärker ins Zentrum der Arbeit sozialer Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen rücken. Bei der Analyse lenkt WEED den Blick auf die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die relevanten Institutionen. Dabei erschöpft sich die Arbeit von WEED nicht in der Kritik an den Akteuren, sondern wir entwickeln auch Reformvorschläge und Alternativkonzepte.