Rechtssicherheit: Warum sich Kommunen exakt an das Vergabeverfahren halten sollten

Im Interview: André Siedenberg, der als Syndikusrechtsanwalt für die Kommunalagentur NRW öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungsverfahren von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen unterstützt. Er begleitet bei der rechtskonformen und vollelektronischen Abwicklung.

Das Interview ist Teil des Sondernewsletters Nachhaltige Beschaffung - Die Rolle kommunaler Kooperationen- und Einkaufsgemeinschaften (Januar 2021) und wurde durchgeführt von Daniela Ramsauer, freie Journalistin, für die Faire Metropolregion Nürnberg.

 

Wie können Kommunen gemeinsam Vergabeverfahren durchführen?

André Siedenberg: Kommunen können sich zum Beispiel zusammenschließen, um eine gemeinsame Aufgabe zu erledigen. Abfallentsorgung oder etwa um den Tourismus in einer Region zu fördern – das sind Beispiele für öffentliche Kooperationen, die nicht institutionalisiert sein müssen. Zur institutionalisierten Rechtspersönlichkeit werden Kommunen dann, wenn sie für ihre Kooperation – zum Beispiel eine gemeinsame Beschaffung – eine Gesellschaft gründen, etwa indem sie sich als GmbH oder als Genossenschaft zusammenschließen.

 

Was muss ich als Kommune bei so einer gemeinschaftlichen Beschaffung beachten?

Siedenberg: Ich muss mit meinen Partnerkommunen entscheiden: gründen wir eine Gesellschaft, die alles für mich erledigt? Außerdem muss festlegt werden, wer den Hut aufhat, also die Ausschreibungen vornimmt. Das kann eine Kommune alleine sein, oder eine Gesellschaft die man hierfür gründet. Der nächste und schwierigste Schritt ist die Bedarfsermittlung. Nicht alle Kommunen erfassen die Bestellungen, die sie im Laufe der Jahre vorgenommen haben. Und selbst wenn, dann oft nicht zentral. Ist all das festgelegt, muss dann noch jemand die Vergabe ganz praktisch veröffentlichen. Bei diesem Prozess können sich die Kommunen natürlich unterstützen. Bewusst sein sollte den Beteiligten auch, dass so eine gemeinschaftliche Ausschreibung immer größer ist als eine Einzelausschreibung; das heißt, es gibt hier mehr Regeln. Ist der Ausschreibungswert beispielsweise höher als derzeit 214.000 Euro netto – was bei der gemeinschaftlichen Bündelung von Bedarfen schnell passieren kann – muss sie EU-weit ausgeschrieben werden. Damit geht dann auch eine Pflicht zur EU-weiten Bekanntgabe einher.

 

Das hört sich komplex an. Müssen Kommunen bei einer gemeinschaftlichen Ausschreibung mit mehr Schwierigkeiten rechnen?

Siedenberg: Es gibt bei gemeinschaftlichen Vergaben, keine Erfahrungswerte, die hinauslaufen auf so etwas wie „viele Köche verderben den Brei“. Klar kann es passieren, dass es bei der Abstimmung Schwierigkeiten gibt. Immerhin müssen hier mehrere Institutionen die Entscheidungen genehmigen. Oberhalb des EU-Schwellenwertes bei Auftragswerten von 214.000 Euro gibt es einen Primärrechtsschutz. Das heißt, der unterlegene Bieter, der zum Beispiel bei einer Büromaterialausschreibung nicht berücksichtigt wurde, kann versuchen Rechtsschutz zu suchen. Die gestiegene Bestellmenge bei einer gemeinschaftlichen Beschaffung zieht also ein abstrakt höheres Rechtsstreitrisiko mit sich. Das liegt aber nicht am Zusammenschluss, sondern an der Menge. Ansonsten sind die Risiken genauso groß oder klein, wie bei einer Einzelausschreibung.

 

Wozu brauche ich dann als Kommune überhaupt Beratung?

Siedenberg: Der Beschaffungsprozess muss rechtlich sauber sein. Ab einer gewissen Größenordnung nimmt der Schwierigkeitsgrad zu. Öffentliche, große Aufträge sind für viele Anbieter attraktiv. Nehmen wir ein Beispiel: Im Zuge der Corona-Pandemie hat Nordrhein-Westfalen ein großes Förderprogramm gestartet, in dessen Rahmen Schüler mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden sollen. Selbst als einzelne Kommune bin ich bei dieser nicht billigen Anschaffung schnell oberhalb des EU-Schwellenwertes. Außerdem ist zu bedenken, dass ich mit den Fördergeldern Geld eines Dritten ausgebe. Unter diesen Bedingungen muss ich mich exakt ans Vergabeverfahren halten, sonst kann es passieren, dass Fördermittelgeber sein Geld wieder möchte. Viel Geld bedeutet also großes Risiko. Die Einkaufsgenossenschaft KoPart eG, für die ich tätig bin, hat die Ausschreibung vorgenommen. Wir haben uns entschlossen, die Geräte für alle NRW-Kommunen auszuschreiben. Die Kommunen können die gewünschten Produkte am Ende aus dem Rahmenvertrag abrufen. Das ist für alle Kommunen einfacher. Ein auf Vergabeverfahren spezialisierter Rechtsanwalt wie ich, kann dabei unterstützen, das rechtssicher zu machen. Auch für die Bieter ist es einfacher. Denn allein in NRW haben wir 396 Kommunen – wenn die zeitgleich ihre Ausschreibung für ein digitales Endgerät auf dem Markt bringen – das gibt Chaos, auch bei den Bietern. Wir sorgen für Bündelung der Bedarfe. Ansonsten sind die Regeln in Vergabeverfahren immer dieselben. Ich, beziehungsweise wir als Einkaufsgenossenschaft, bieten als zusätzliche Leistungen an: Wir sammeln Wissen, haben Kapazitäten, stellen rechtsichere Vergaben für Kommunen im Hinblick auf Fördermitteln und Nachprüfungsverfahren sicher. Es gibt eine Vergabekammer, die prüft auf Antrag unterlegener Bieter zuweilen Verfahren nach. Nur wenige dieser Nachprüfungsverfahren werden von der öffentlichen Hand verloren. Darum geht es aber auch nicht. Das Wichtige und Gute ist, das wir in Deutschland und der EU einen Rechtsrahmen für Vergabeverfahren haben – und an diesen soll sich auch die öffentliche Hand halten. Wir sind ja hier in einem Rechtstaat. Um die Einhaltung des Rechtsrahmens zu gewährleisten fehlen manchmal die fachlichen Kompetenzen und noch viel öfter die Kapazität. Die Kommunen benötigen jemanden, der sich mit dem Beschaffungsprozess auskennt und Zeit hat, sich damit zu beschäftigen. Oftmals wird gar nicht so sehr die Fachkompetenz eingekauft, sondern häufig auch die personelle Kapazität.

 

Wie bringen Sie Nachhaltigkeit in den Beschaffungsprozess?

Siedenberg: Wir als Einkaufsgenossenschaft zwingen niemanden der Besteller hierzu. Nachhaltigkeit funktioniert nur, wenn die Beschaffenden das wollen. Doch das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Es gibt einen Trend zur mehr Nachhaltigkeit und auch zu mehr Professionalisierung. Einige Kommunen haben inzwischen eigene Personalstellen dafür, die sich nur dieses Themas annehmen. Wer Nachhaltigkeit in seinem Beschaffungsprozess verankern will, muss wissen wie und braucht gewisse Infos dafür. Die Kommunen definieren etwa Kriterien, was sie in Sachen Nachhaltigkeit möchten: Produkte die nicht aus Kinderarbeit stammen zum Beispiel. Gütezeichen und andere relevante Kriterien, die beispielsweise einsehbar sind im Kompass Nachhaltigkeit, geben Orientierung, ob bestimmte Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllt sind. Bei den Gütezeichen würde ich mir allerdings noch einen besseren rechtlichen Rahmen wünschen. Die Regelungen sind von Bundesland zu Bundesland verschieden und könnten optimiert werden. Für einige Bereiche, zum Beispiel im Textilbereich oder bei Steinen fehlt es an eindeutigen Vorgaben. Auch wir als Kommunalagentur NRW stellen Wissen in Sachen Nachhaltigkeit zur Verfügung. Für bestimmte Rahmenverträge beispielsweise stellen wir einen Onlinekatalog, an den die Kommunen angebunden werden. Im System hinterlegt sind auch die Informationen, wenn ein Produkt nachhaltig ist. Das elektronische System ist hier sehr hilfreich. Sämtliche Nachhaltigkeitskriterien selbst herauszufinden, ist für eine Kommune kaum zu stemmen.

 

Was passiert, wenn Sie Produkte beschafft haben, die am Ende doch nicht nachhaltig sind?

Siedenberg: Dann haben wir ein gravierendes Problem. Wenn wir Nachhaltigkeit in den Leistungskriterien gefordert haben, diese dann aber doch nicht erfüllt wird, könnten wir den Kaufpreis mindern oder Nachlieferung verlangen. Eine Kündigung ist ebenfalls möglich. In extremen Fällen kann man die Anbieter sogar von zukünftigen Verfahren ausschließen.