Das Interview ist Teil des Sondernewsletters Nachhaltige Beschaffung - Die Rolle kommunaler Kooperationen- und Einkaufsgemeinschaften (Januar 2021) und wurde geführt von Daniela Ramsauer, freie Journalistin, für die Faire Metropolregion Nürnberg.
Zehn Kommunen, der Kreis Groß-Gerau und das Jobcenter beteiligen sich seit inzwischen drei Jahren am kommunalen Vergabezentrum. Wie kam es dazu?
Marta Wachowiak: Im Jahr 2017 habe ich bei der Kreisverwaltung Groß-Gerau mein Amt als Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik angetreten. Die Stelle wird gefördert von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) und hat unter anderem das Ziel, die faire und nachhaltige Beschaffung in Kommunen voranzubringen. Mein Glück war es, dass kurz davor zu diesem Zweck das kommunale Vergabezentrum geschaffen wurde. Zum Start habe ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen diverse Schulungen durchlaufen. „Was kann man alles nachhaltig beschaffen? Wo gibt es Möglichkeiten, etwas noch besser zu machen?“ Mit solchen Fragen haben wir uns beschäftigt und sind mit der Zeit sehr sensibel dafür geworden. Für das Thema Nachhaltigkeit standen von Beginn an auch die Kreisleitung und der Landrat. Auf ihre Initiative wurde auch ein Konzept zum Thema nachhaltige Beschaffung beschlossen. Das ist und bleibt eine Basis für unsere Arbeit in den kommenden Jahren.
Wie läuft die gemeinsame Beschaffung ab?
Wachowiak: Wenn wir etwas beschaffen möchten, erstellen wir, beziehungsweise die zuständige Verwaltungsstelle eine Leistungsbeschreibung. Das kommunale Vergabezentrum prüft dann, welche Art von Ausschreibung das ist, zum Beispiel ob sie deutschlandweit läuft oder EU-weit. Im Anschluss übernimmt das Zentrum die Veröffentlichung für uns, sammelt Angebote ein und vergleicht sie. Als Kreis haben wir für den gemeinschaftlichen Einkauf den elektronischen Einkaufskatalog eingeführt. Hier haben wir die Möglichkeit, Produkte mittels einer Filterfunktion nach umweltfreundlichen Kriterien auszuwählen. Alle Fachbereiche haben einen eigenen Zugang. Sie bestellen dann über diese Plattform: Papier, Büromaterialien, Hygiene- und Reinigungsmittel, Tinte und Toner – quasi alles, was eine Verwaltung braucht. Das vereinfacht viele Abläufe. Am Ende wissen wir genau, wer was und wieviel bestellt hat. Auch die Kommunen, die sich dem Vergabezentrum angeschlossen haben, beteiligen sich an dem Beschaffungsprozess über den elektronischen Einkaufskatalog im Rahmen der gemeinsamen Bestellungen wie Papier.
Welche Vorteile hat das gemeinsame Vergabezentrum?
Wachowiak: Bei Folgeausschreibungen und -bestellungen können alle auf die Zahlen und Daten zurückgreifen, die im Katalog hinterlegt sind. Das ist ein großer Vorteil. Diese Infos sind vor Einführung der gemeinschaftlichen elektronischen Beschaffung häufig nicht präsent gewesen. Als Zusammenschluss erhöhen wir außerdem die Menge unserer Einkäufe, etwa bei Büromaterial oder Papier – und erzielen dadurch bessere Preise. Gleichzeitig müssen wir uns nicht um die Rechtssicherheit der Vorgänge sorgen; all das übernimmt das Vergabezentrum für uns. Andere Kommunen aus dem Kreis können jedes Jahr aufs Neue frei entscheiden, ob sie sich unserem Modell anschließen. Die meisten tun es, denn es ist eine große Vereinfachung. Sie benötigen keine Mitarbeitenden, die sich mit dem Thema beschäftigen oder Angebote einholen müssen. Entscheidungen treffen, Zusagen und Absagen verschicken – all das erledigt das kommunale Vergabezentrum für die Kommunen. Es gibt viele Vorteile an unserem Modell. Sonderwünsche können die Kommunen im elektronischen Katalog später selbst bei dem ausgewählten Lieferanten erfragen. Es ist einfacher, gemeinsam was zu machen.
Erinnern Sie sich noch an die erste gemeinsame und faire Beschaffung für den Kreis?
Wachowiak: Natürlich: Los ging es mit der Beschaffung von Papier. Wir haben in den Kommunen aus dem Kreis nachgefragt, wer Bedarf hat und sich dem Prozess anschließen möchte – acht oder neun sagten direkt zu. Ich habe eine bestehende nachhaltige Ausschreibung für den Kreis verfeinert und dann für alle Beteiligten gleichzeitig Recyclingpapier ausgeschrieben. Der Vorteil dieser ersten gemeinsamen Beschaffung: Alle haben Umweltpapier bekommen – auch die, die vielleicht nicht daran gedacht hätten, sich nachhaltiges Papier zu bestellen. 2018 folgte eine Ausschreibung für Büromaterial. Hier ging es darum, den Kommunen Alternativangebote aufzuzeigen: Es gab zum Beispiel einen Locher, der aus recyceltem Plastik hergestellt ist, oder Kugelschreiber mit austauschbaren Minen.
Können Sie Beispiele nennen, wie Nachhaltigkeit in den Beschaffungsprozessen sichtbar wird?
Wachowiak: Nehmen wir unser Bauamt als Beispiel. Hier müssen wir regelmäßig Kopien von Bauplänen machen. Diesen Auftrag haben wir an einen Copyshop vergeben, unter der Bedingung, dass alle Kopien auf Umweltpapier gemacht werden. Das ist nur eine Kleinigkeit. Aber wenn die Nachhaltigkeit noch nicht so in den Köpfen verankert wäre, hätte niemand daran gedacht. Oder zu Weihnachten: Hier haben wir Kaffee, Schokolade und Stofftaschen verschenkt – alles aus fairem Handel. Den Päckchen haben wir einen Informationsflyer zum fairen Handel beigelegt. Einfach um das Bewusstsein zu schärfen: „Wenn du Kaffee bestellst, kannst du auch fairen nehmen.“ Das Denken in Richtung „Mehr Nachhaltigkeit“ merke ich auch am Verhalten der Kolleginnen oder Kollegen: Von verschiedensten Verwaltungsstellen kommen sie auf mich zu und stellen Fragen, wie sie ihre Beschaffungsprozesse in diesem Zusammenhang optimieren können. Ich recherchiere das und gebe es sehr gerne weiter.
Was hat sich verändert, seitdem Groß-Gerau auf die gemeinsame elektronische Beschaffung umgestellt hat?
Wachowiak: Es ist ein noch junger Prozess. Doch schon nach dieser relativ kurzen Zeit ist eine gewisse Bewegung absehbar. Ich betrachte Ende des Jahres die Zahlen, die wir von der TEK SERVICE AG bekommen. Ich schaue mir an: „Was ist bestellt worden? Was nicht?“ Das ist alles ein Prozess. In bestimmten Fällen, wo ich denke, man könnte noch etwas besser machen, führe ich Gespräche mit den Fachbereichen. Frage nach, warum sie nicht die nachhaltigen Alternativen bestellen. Und das bringt etwas: Kollegen machen mich beispielsweise stolz darauf aufmerksam, dass ihre Flyer oder unser Jahrbuch auf Umweltpapier gedruckt werden. Da ist ein Bewusstsein geweckt worden! Es sind tausende kleine Schritte, die am Ende Großes bewirken.
Kontakt und Links:
Webseite:
www.kreisgg.de/umwelt/kommunale-entwicklungspolitik/nachhaltige-beschaffung/
Marta Wachowiak
Koordinatorin für Kommunale Entwicklungspolitik im Kreis Groß-Gerau
Wilhelm-Seipp-Str. 4
64521 Groß-Gerau
Mail: M.Wachowiak@kreisgg.de