Das Interview ist Teil des Sondernewsletters 'Nachhaltige Beschaffung - Die Rolle kommunaler Kooperationen- und Einkaufsgemeinschaften (Januar 2021)' und wurde durchgeführt von Daniela Ramsauer, freie Journalistin, für die Faire Metropolregion Nürnberg. Zum Newsletter in voller Länge geht es hier.
Gemeinsame öffentliche Beschaffung – wenn wir über dieses Thema sprechen – was meinen wir damit eigentlich?
Tim Stoffel: Mit Blick auf Kommunen bedeutet das, dass diese sich – sei es zur Arbeitserleichterung oder auch um finanzielle Vorteile zu erlangen – zusammenschließen, um gemeinsam einzukaufen. Anstatt das beispielsweise zehn Kommunen und der Kreis elf einzelne Ausschreibungen für Papier oder Büromöbel machen, fasst man das in einer gemeinsamen Ausschreibung zusammen. In so einer Ausschreibung lassen sich auch strategische Ziele – wie etwa Nachhaltigkeit – festlegen. Das tun die Städte, Gemeinden und Landkreise etwa in Form eines „gemeinsamen Einkaufs“ oder als „Einkaufsgemeinschaften“. Beim gemeinsamen Einkauf kooperieren zwei oder mehrere Organisationen, um einmalig oder punktuell etwas beschaffen. Man beschränkt sich auf einen Einkaufsprozess oder auch nur auf einzelne Schritte in diesem Rahmen. Kommunen, die so eine Kooperation dauerhaft und regelmäßig pflegen, gehen noch einen Schritt weiter und schließen sich in Form von Vereinen, Genossenschaften oder Zweckverbänden zu einer Einkaufsgemeinschaft zusammen oder sie arbeiten dabei sogar mit externen Dienstleistern. Durch solche Zusammenschlüsse in Form von abhängigen oder unabhängigen Organisationen haben Kommunen nochmals mehr Möglichkeiten, um miteinander strategische Ziele zu erreichen, die sie alleine nicht ohne weiteres erreichen könnten. Zum Beispiel hat der Kreis Groß-Gerau in Hessen durch die Gründung einer Einkaufsgemeinschaft die Ziele einer nachhaltigeren Beschaffung und die Einrichtung eines Einkaufskataloges für alle beteiligten Kommunen umgesetzt und durch den Wegfall paralleler Beschaffungsvorgänge Verwaltungskosten reduziert.
Was bringt die gemeinsame Beschaffung den beteiligten Kommunen?
Stoffel: Ein zentraler Vorteil einer Einkaufsgemeinschaft ist, dass Expertise gebündelt wird. Ganz allgemein zu Vergabeprozessen, aber auch Spezialwissen, zum Beispiel beim Einkauf von Informations- und Kommunikationstechnologie, sei es zu Produktspezifikationen oder auch zu ökologischen und sozialen Aspekten bei der Produktion. Kommunen können dies auf unterschiedlichen Ebenen umsetzen, indem sie Teil von Einkaufskooperationen werden. In verschiedenen Bundesländern gibt es regionale Einkaufsgemeinschaften wie das Kommunale Kaufhaus (KoKa) in Rheinland-Pfalz, es gibt aber auch überregionale Angebote, oft in Form von Genossenschaften, wie KoPart – beide setzen bereits jetzt Nachhaltigkeitskriterien in vielen ihrer Ausschreibungen um und können ihren Mitgliedern so nachhaltigere Produkte zur Verfügung stellen. Solche Einkaufsgemeinschaften bieten ihren Mitgliedern eine gemeinsame Infrastruktur für die elektronische Beschaffung und ersparen die aufwendige Recherche nach bestimmten Produkten und Produktgruppen. Das ist nicht nur effizient, sondern auch wirtschaftlich: wer als Einkaufsgemeinschaft agiert, spart Ressourcen an Arbeitskraft und Zeit. Bei der Abnahme größerer Mengen sind zudem oft Rabatte möglich. Allerdings bedeuten größere Einkaufsgemeinschaften auch eine geringere Flexibilität: man kann seltener Sonderwünsche äußern oder spezielle Kriterien hinzufügen oder abwählen. Für den nachhaltigen öffentlichen Einkauf heißt das, dass es eventuell mit etwas Aufwand verbunden ist Nachhaltigkeitsziele in bereits bestehenden Einkaufsgemeinschaften umzusetzen.
Welche Form der Kooperation eignet sich am besten für die nachhaltige Beschaffung?
Stoffel: Die Form ist nicht das Ausschlaggebende. Es kommt darauf an, dass sich die Mitglieder die sich zusammenschließen, auf ihre strategischen Ziele – zum Beispiel Nachhaltigkeit – einigen und dies auch in ihrer Kooperation verankern. Wenn das Ziel feststeht, kann man sich entweder zu einer neuen Einkaufsgemeinschaft zusammenschließen oder einer bestehenden Einkaufsgemeinschaft anschließen. Der Effekt in Richtung Nachhaltigkeit wird umso größer, je mehr Kommunen sich zusammenschließen, da sich so die Nachfrage nach Produkten erhöht die unter sozialen und ökologischen Bedingungen hergestellt wurden und Produzenten und Händler eher bereit sind auf besondere Kriterien einzugehen.
Welches Potential bietet die gemeinsame Beschaffung für Nachhaltigkeit?
Stoffel: Durch die Nachfragebündelung kann die nachhaltige Beschaffung für viele Kommunen abgedeckt werden. Bei der Ausschreibung können die gewünschten Nachhaltigkeitskriterien direkt in die Vergabe integriert werden – und sogar noch mit weiteren strategischen Zielen, zum Beispiel Innovation, verknüpft werden. Auf dieser Ebene sind im Rahmen der Ausschreibung auch größere Bieterdialoge möglich. Das gemeinsame Vorgehen ist zusätzlich eine große Erleichterung für Kommunen, die bisher noch keine Erfahrung mit nachhaltiger öffentlicher Beschaffung haben. Nicht zuletzt ist die gebündelte Nachfrage nach nachhaltigen Produkten ein Anreiz für die Unternehmen auf Bieterseite, ihre Produktionsweise zu ändern – oder wenn sie bereits nach nachhaltigen Kriterien arbeiten und anbieten, dies auch nachzuweisen. Dadurch, dass die Arbeitskraft bei einer Einkaufsgemeinschaft an einer zentralen Stelle gebündelt ist, hat man auch viel bessere Möglichkeiten, nach der Vergabe zu kontrollieren, ob die Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden. Für ein solches Vertragsmanagement haben viele kleine Kommunen sonst keine Kapazität.
Die Forschungs- und Vermittlungsarbeit, die Tim Stoffel und Maximilian Müngersdorff am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) durchführen, werden gefördert durch die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Die Ergebnisse werden für Praktikerinnen und Praktiker aufbereitet und in der Reihe Dialog Global der SKEW veröffentlicht, um den Kommunen Möglichkeiten für eine gemeinsame und nachhaltige Beschaffung aufzuzeigen. Sie fließen außerdem in die Weiterentwicklung der SKEW Serviceangebote zu Fairer Beschaffung ein.
Kontakt und Links:
Projektwebseite:
Tim Stoffel
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Tulpenfeld 6
D-53113 Bonn
T +49 (0)228 94927-183
Mail: tim.stoffel@die-gdi.de
Internet: www.die-gdi.de/tim-stoffel/