Im Interview: Philipp Scheidiger, Geschäftsführer von Swiss Fair Trade
Herr Scheidiger, während in Deutschland nur knapp 30 Euro pro Person und Jahr für Fairtrade-Produkte ausgegeben werden, sind es in der Schweiz ganze 110 Euro. Woran liegt das?
Das hat verschiedene Gründe. Wenn ich meinen deutschen Kollegen von unseren Absatzzahlen erzähle, wird immer schnell der hohe Schweizer Franken als Erklärung genannt. Es sind aber noch viele andere Faktoren im Spiel. Auf psychologischer Ebene hat eine Studie gezeigt, dass die moralische Überzeugung und damit Fairtrade-Produkte in der Schweiz von den Menschen stärker geschätzt werden. Zweiter wichtiger Faktor ist unsere Handelsstruktur: Beide großen Einzelhändler sind im internationalen Vergleich sehr nachhaltig ausgerichtet und haben ein breites Sortiment an Fairtrade-Produkten. Das ist eine gute Ausgangslage.
In Deutschland ist der Umsatz mit Fairtrade-Produkten über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich gewachsen. Ist das auch in der Schweiz der Fall?
Seit wir die Entwicklung messen, haben wir es mit einem starken Wachstum von 10 bis 15 Prozent jährlich zu tun. Durch die Corona-Pandemie wurde die Entwicklung etwas abgeschwächt, sodass wir derzeit eher im Bereich 5 bis 10 Prozent liegen. Aber ja, auch in der Schweiz ist das Wachstum kontinuierlich.
Wie unterscheiden sich die Fairtrade-Märkte in Deutschland und der Schweiz?
Zunächst gibt es Unterschiede bei den verkauften Produkten. In Deutschland ist fair gehandelter Kaffee der Absatzschlager Nummer eins, während bei uns eher faire Früchte nachgefragt sind. Die faire Banane hat beispielsweise einen Marktanteil von 50 Prozent! Auch faire Getränke- und Kakaoprodukte werden in der Schweiz immer beliebter. Im Gegensatz zu Deutschland werden in unserem Einzelhandel ausschließlich Max-Havelaar-zertifizierte Produkte angeboten. Dass ein Großteil des Umsatzes mit Lebensmitteln gemacht wird – in Deutschland sind es 82,5 Prozent -, ist auch bei uns der Fall.
Sind Fairtrade-Angebote in der Schweiz sichtbarer? Könnte das eine weitere Erklärung für die hohen Umsatzzahlen sein?
Ich glaube eigentlich nicht, dass das so ist. Ich war im Sommer in Frankreich, wo die Fairtrade-Regale immer sehr gut positioniert und im Supermarkt in der Regel als erstes sichtbar waren. In der Schweiz sieht das oftmals anders aus. Die Sichtbarkeit kann also nicht die alleinige Erklärung sein.
Welche Rolle spielt die faire Beschaffung für Schweizer Kommunen? Ist auch hier steigendes Interesse zu beobachten?
In der Tat, ja. Der Prozess ist langsam, aber eindeutig sichtbar. Man spürt die Bereitschaft der Kommunen, etwas zu verändern. Unser neues Beschaffungsgesetz bringt hier einiges ins Rollen. Wir als Swiss Fair Trade unterstützen das und wollen die Gesetze anwendbar für Kommunen machen. Es gibt bereits viele Kommunen, die im Bereich Lebensmittel auf faire Produkte zurückgreifen. In meinen Augen ist das noch ausweitbar auf viele andere Bereiche: Baumaterial, Informatikgeräte und Kleidung beispielsweise. Lebensmittel machen beim kommunalen Einkauf nur einen kleinen Teil aus. Es besteht also noch viel Potenzial.
Sind auch Auswirkungen des deutschen Lieferkettengesetzes in der Schweiz spürbar?
Absolut. Viele Firmen organisieren sich um, und auch bei uns machen sich immer mehr Unternehmen Gedanken über ihre Lieferketten.
Rückblickend auf alles, was Sie uns erzählt haben: Was können andere Länder wie Deutschland von der Schweiz lernen, um ähnliche Absatzzahlen zu erreichen?
Ich glaube gar nicht, dass Deutschland so viel lernen muss. Ich beobachte die dortige Entwicklung sehr positiv; die vielen Fairtrade-Towns, die Beratungsangebote, das Forum Fairer Handel. Viele Trends sind sehr vielversprechend. Wir haben in der Schweiz derzeit sicherlich auch Glück, es mit weniger harten externen Faktoren und geringerer Inflation zu tun zu haben. Das ist für den Umsatz mit fair gehandelten Produkten hilfreich.
Titelbild: Philipp Scheidiger © Swiss Fair Trade