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Gesamtkostenbetrachtung macht Nachhaltigkeit wirtschaftlich tragfähig

27. März 2023
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Gesamtkostenbetrachtung macht Nachhaltigkeit wirtschaftlich tragfähig

Im Interview: Christof Helfrich, Leiter des Zentralbereichs Einkauf N-ERGIE Aktiengesellschaft*

Herr Helfrich, Sie gelten als einer der führenden Branchenexperten für nachhaltige Beschaffung, schreiben Bücher und halten Vorträge zu dem Thema. Sind Sie im eigenen Unternehmen ein Exot?

Helfrich (lacht): Ganz und gar nicht. Das Thema Nachhaltigkeit wird in allen Konzerntöchtern der Städtischen Werke Nürnberg von ganz oben vorangetrieben. So war der Vorstandssprecher der VAG und neuer VDV-Vize, Tim Dahlmann-Resing, lange Jahre Mitglied im Unterausschuss Nachhaltigkeit des Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Er hat mir sozusagen den Staffelstab im Ausschuss weitergeben und wirbt unermüdlich für den nachhaltigen Umbau der VAG. Ein weiterer Beleg für unser Engagement: Für die Beschaffung der SMART Parking Lösung Parkhaus der Zukunft, das Mitarbeitende der N-ERGIE und Anlieger gemeinsam nutzen, wurde die N-ERGIE im Jahr 2022 mit dem Innovationspreis des Bundesverbandes für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik für beispielhafte Leistungen im Bereich Öffentliche Beschaffung ausgezeichnet. Auch bei meinen Einkäuferinnen und Einkäufern rennen Sie mit dem Thema Nachhaltigkeit offene Türen ein, denn sie haben sich schon immer mit der Energieeffizienz von Investitionen beschäftigt. Bei einer Wasserpumpe, die jahrzehntelang ihren Dienst tun muss, ist sparsamer Verbrauch ein entscheidendes Kaufkriterium.

Warum ist der Einkauf von zentraler Bedeutung für die nachhaltige Transformation kommunaler Unternehmen?

Helfrich: Alle Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge sind wichtige Akteure der Energie- und Verkehrswende. Insbesondere der ÖPNV ist von zentraler Bedeutung für das Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor. Die praktische Umsetzung der Klimatransformation beginnt dabei immer mit der vergaberechtlich einwandfreien Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Einkaufsentscheidungen. Glücklicherweise gab es mit der Vergaberechtsreform im Jahr 2016 einen Paradigmenwechsel, denn sie fördert den Effizienzgedanken.

Wir haben nun die Möglichkeit, Nachhaltigkeitskriterien bei den Ausschreibungen vorzugeben und die daraus resultierenden Aufträge rechtssicher zu vergeben, statt nur auf den günstigsten Angebotspreis zu blicken. Der Einkauf ist quasi die Schaltzentrale für den nachhaltigen Umbau kommunaler Unternehmen. Denn natürlich müssen alle Investitionen auch weiterhin im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit bewertet werden.

Was bedeutet das in der Praxis? Wählen Sie zwischen Ökologie und Ökonomie?

Helfrich: Im Idealfall sind nachhaltige Einkaufsentscheidungen auch die wirtschaftlichsten. Dazu muss allerdings ein Umdenkprozess  bezüglich der Bewertungsmaßstäbe stattfinden. Das wirtschaftliche Grundprinzip der Nachhaltigkeit lautet ja, dass sie sich selbst finanziert. Sprich: Gewinne sollen umwelt- und sozialverträglich erwirtschaftet werden. Bisher ist es ja oft Usus, mit den erwirtschafteten Gewinnen Umwelt- und Sozialprojekte zu finanzieren.

Welche Bewertungsmaßstäbe sind das?

Helfrich: Ganz oben steht in meinen Augen die Betrachtung der Lebenszykluskosten. Hinzu kommen Gütezeichen und Labels wie der Blaue Engel oder das EU Ecolabel, Normen und Standards. Weitere mögliche Kriterien sind der Energie- und Ressourcenverbrauch, die Nachhaltigkeit der Lieferketten, das Obsoleszenzmanagement sowie soziale Aspekte wie Tariftreue oder Ausbildungsquote der Lieferanten. Wir haben im VDV-Unterausschuss Nachhaltigkeit in Zusammenarbeit mit der VDV-Arbeitsgruppe EU-Vergaberecht in der Beschaffungspraxis die Mitteilung 9071 für Verkehrsbetriebe verfasst, deren Empfehlungen sicher auch für andere kommunale Unternehmen anwendbar sind. Sie widmet sich sehr ausführlich der Bewertung nachhaltiger Vergabekriterien bei der Beschaffung und enthält eine Vielzahl an interessanten Links zu vertiefenden Informationen.

Beschaffungsquelle VDV-Mitteilung 9071 „Nachhaltige Vergabekriterien“

Erklären Sie uns bitte das Prinzip der Lebenszykluskostenrechnung.

Helfrich: Obwohl die Lebenszykluskostenbetrachtung kein neuer Ansatz ist, wird sie bei Einkaufsentscheidungen in kommunalen Unternehmen noch viel zu wenig berücksichtigt. Übrigens sind die Bundesdienststellen mittlerweile dazu verpflichtet, alle relevanten Kosten bei der Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Produkte und Dienstleistungen einzubeziehen. Alle relevanten Kosten meint dabei neben den Anschaffungskosten die Nutzungskosten wie Energieverbrauch, Personal-, Wartungs- und Instandhaltungskosten, bezieht aber auch die Kosten für die Entsorgung mit ein. 

Innovative und qualitativ hochwertige Produkte haben in der Regel einen höheren Anschaffungspreis, der sich jedoch während der Lebensdauer eines Produktes oft amortisiert, weil zum Beispiel die Kosten für Wartung oder Instandhaltung deutlich niedriger sind. Die Betrachtung der Gesamtkosten verschafft mir ein Bild über Anschaffungskosten und Folgekosten. Zwei einfache Beispiele aus der Praxis: Ein Gabelstapler hat einen erheblichen Verschleiß, da fallen die Wartungskosten durchaus ins Gewicht. Eine Drehtür, die zwar den günstigsten Anschaffungspreis hat, mich aber jährlich 7.000 Euro für den Wartungsvertrag kostet, verliert ganz schnell im Lebenszykluskostenvergleich.

Wie gehen Sie im Zentraleinkauf Einkaufsentscheidungen an?

Helfrich: Bei der VAG betreffen die Entscheidungen vor allem die Fahrzeugflotte und alle damit verbundenen Investitionen in Mobilität und Infrastruktur, bei der N-ERGIE zählt vor allem die Qualität der technischen Komponenten. Wir beginnen damit, uns in den Fachteams Gedanken zu machen, welche Anforderungen ein Produkt zum Beispiel im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit, Energieverbrauch, Innovation, Handhabung oder Sicherheit erfüllen muss und definieren diese in einer Leistungsbeschreibung sowie – soweit notwendig – in den Ausführungsbedingungen. Auch soziale Kriterien wie die Transparenz der Lieferkette bei Zertifizierungen, Herstellbedingungen oder Arbeitssicherheit fließen hier mit ein.

Für jedes große Projekt legen wir spezielle Zuschlagskriterien fest und gewichten sie individuell. Bei Investitionen in E-Busse und E-Fuhrpark sind aufgrund des seit 2021 geltenden Gesetzes über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge Angaben zu den Emissionen essenziell. Wichtig ist, dass alle Kriterien keine subjektive Einschätzung darstellen, sondern in Euro und Cent bewertet werden können.

Beispiel: Wertungstabelle Busbeschaffung

Das klingt nach viel Detailarbeit bei den Ausschreibungen.

Helfrich: Ein Drittel der Mitarbeitenden in unserem Einkauf hat einen technischen Hintergrund. Bei der Beschaffung von E-Bussen ist zum Beispiel die Wärmepumpe als Heizungsquelle ein wichtiges Thema. Manche funktionieren bis -10 Grad, manche steigen bei 0 Grad aus. Hier muss ich den Stromverbrauch betrachten und entscheiden, ob die effizientere Wärmepumpe nicht die bessere Entscheidung ist, obwohl sie in der Anschaffung deutlich teurer ist.

Wo liegen die Chancen und Herausforderungen nachhaltiger Beschaffung?

Das Thema ist wichtiger denn je. Ich unterstützen auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, denn es wird in vielen Unternehmen das Bewusstsein schärfen. Allerdings ist es im Moment auch schwer, Gehör zu finden, da die Wirtschaft durch Ukrainekrieg und instabile Lieferketten mit anderen Sorgen kämpft. Um nachhaltige Beschaffung erfolgreich in die Einkaufsstrategie zu implementieren, muss man das ökonomisch begründen können. Daher plädiere ich auch so stark dafür, nicht den Bauch, sondern Zahlen und Fakten sprechen zu lassen. 

*Der Zentralbereich Einkauf der N-ERGIE AG ist im Rahmen der Geschäftsbesorgung für alle Tochterunternehmen der Städtischen Werke Nürnberg (StWN), darunter die Verkehrsaktiengesellschaft (VAG) Nürnberg, zuständig.

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